Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh ? Nee, eher aus Hamburg und heißt Digger Barnes.
Die taz schreibt:
„Der Beruf des Cowboys ist ein verdammter Scheißberuf“, sagt Kay Buchheim und grinst. Er weiß, wovon er spricht: Seit über zehn Jahren dokumentiert der Musiker unter seinem Künstlernamen und Alter Ego Digger Barnes sein Leben on the road. Vielmehr noch: Er macht die Entwurzelung eines melancholischen Reisenden zum Gegenstand seiner Musik.
In einer Collage aus Country, Blues und Americana erzählt der Hamburger Singer-Songwriter zeitlose, eskapistisch anmutende Geschichten. Zusammen mit dem Illustrator und Videokünstler Pencil Quincy (im echten Leben trägt er den nicht weniger klingenden Namen Raoul Doré) bespielt Digger Barnes seit über zehn Jahren Bühnen und außergewöhnliche Veranstaltungsorte wie Eisenbahnwaggons, Friedhofskapellen und verlassenen Tankstellen.
Die gemeinsam entwickelte „Diamond Road Show“ ist ein Hybrid aus Konzert und Trickfilm – in Musik und Visuals spiegeln sich die Sehnsuchtsorte, die er besingt.
Mithilfe der eigens konzipierten „Magic Machine“, einem Projektor aus Plattentellern, Transparentpapier, dem Motor eines Volvo-Scheibenwischers und seinen Zeichnungen, verschmelzen Realität und cineastische Fiktion während des Auftritts. Digger Barnes erzählt Außenseitergeschichten. Seine Texte wirken, als seien sie aus den staubigen Reisetagebüchern eines Vagabunden entsprungen. So fühlt sich die „Diamond Road Show“ an wie Westerngucken.
Das liegt auch an Kay Buchheims alias Digger Barnes Faszination für die amerikanische Kulturgeschichte. Als Kind verschlang er die Abenteuerromane von Karl May, mit 14 Jahren packte ihn der Kulturhunger. Damals sah er zum ersten Mal Wim Wenders’ Arthouse-Roadmovie „Paris, Texas“. Das Bild vom unrasierten, verlorenen Typen in der texanischen Landschaft ließ ihn nicht mehr los. „‚Paris, Texas‘ ist eine Blaupause für den Charakter Digger Barnes“, sagt er. Wer genau hinsieht, findet Motive daraus auf dem Cover seines im März erschienenen vierten Albums „Near Exit 27“.
Mit der Crust-Punk-Band Jeniger, später mit der Party-Fun-Band Butch Meier versteckte sich Buchheim und der schon in ihm schlummernde Digger Barnes in den neunziger und nuller Jahren hinter lauter Musik, aufgeklebten Bärten und ironischen Cowboyhüten. Heute muss sich Digger Barnes den Schnauzer nicht mehr ankleben.„Irgendwann musste das angestaute Material raus.“
Mit Digger Barnes – der Name stammt ursprünglich von einer Figur aus der Erfolgsserie „Dallas“ – konnte der Musiker schließlich ein Americana-Alter-Ego entwerfen, das nicht völlig humorlos ist, sich aber der Tradition des Country, Western und Blues mit gebotenem Ernst nähert. Auf der Bühne spricht der Mann mit norddeutscher Biografie Englisch mit breitem US-amerikanischem Akzent. „Wie in einem Comic muss man leicht karikieren, was man darstellt – damit es überhaupt funktioniert“, erklärt Buchheim beim Gespräch im taz-Café.
Die Geschichte von Digger Barnes ist auch die Geschichte einer Freundschaft. Wenn der Musiker von Projekten spricht, dann immer in der Wir-Form. Mit „wir“ meint er seine langjährigen Freunde und musikalisch-künstlerischen Wegbegleiter Friedrich Paravicini und Pencil Quincy. Der Produzent und Multiinstrumentalist Paravicini ergänzt Digger Barnes’ Bariton auch auf dem neuen Album mit zum Großteil selbst eingespieltem Instrumentarium.
Auch gab es immer wieder Kollaborationen mit anderen Künstlern wie der Sängerin Emily Barker, dem Schriftsteller Franz Dobler oder der Autorin Janne Teller, für die er die Musik zum multimedialen Theaterstück „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ geschrieben hat.
Auf „Near Exit 27“ singt der Geschichtenerzähler lakonisch von Trennungsschmerz und Reisemelancholie – eine gewisse Schwermut
schwingt immer mit. Die Dramaturgie des Albums gleicht einem nicht enden wollenden Road-Trip eines vom Leben gesättigten, in der Einsamkeit schrullig gewordenen Reisenden.
Mit seinem Song „Travelin’ Man“ hat sich Digger Barnes dabei selbst ein Denkmal gebaut. Einem melancholischen, manchmal einsamen Mann, der im Wilden (und auch nicht so wilden) Westen Pause vom Alltag macht. Innerhalb von fünf Minuten habe er den Song geschrieben, sagt Buchheim und wirkt dabei immer noch erstaunt. Er kam „wie vom Himmel gefallen“. Die fiktiven Reiseerlebnisse des Digger Barnes sind jedenfalls noch nicht auserzählt. Man kann nur hoffen, dass er sich seiner treuesten Gefährtin, der Akustikgitarre „Little Jane“, treu bleibt.